Gehalts-„Poker“ mit dem Chef – aber wie?

Mehr Gehalt zu fordern ist vielen Beschäftigten unangenehm. Experten raten Arbeitnehmern dazu, einmal pro Jahr das Gespräch mit dem Vorgesetzten zu suchen.

Als Coach hat C. K. schon viele Anekdoten zu Gehaltsverhandlungen gehört. In einem Fall kam aber auch sie lange nicht aus dem Staunen heraus: Vor 22 Jahren habe er mit seinem Chef das letzte Mal über Geld gesprochen, erzählte ihr ein Klient. Und „er war auch nicht über die Maßen unzufrieden, weil er jedes Jahr eine kleine automatische Gehaltsanpassung bekommen hatte“, erklärt die Expertin aus München.  

Das Gehaltsplus habe zwar gerade einmal grob die Inflation ausgeglichen, doch der Minibetrag reichte, um den Mann ruhigzustellen. Eine Taktik, die Kimich viel in Großkonzernen beobachtet: „Für den Arbeitgeber ist das optimal, für den Arbeitnehmer ist es vor allem eine vertane Chance.“

Wie dem Klienten geht es offenbar vielen Beschäftigten. Jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland hat sogar noch nie nach einer besseren Bezahlung gefragt. Das hat die Online-Jobplattform Stepstone herausgefunden, die rund 30.000 Datensätze aus ihrem Gehaltsreport ausgewertet hat.

Die Scheu, mehr Geld zu fordern, ist demnach groß. Im Hintergrund lauert die Angst vor einer Abfuhr – und davor, Konsequenzen zu ziehen und gegebenenfalls einen neuen Arbeitgeber suchen zu müssen.

Dabei mangelt es in vielen Branchen inzwischen an Fachkräften aufgrund der demografischen Entwicklung: Arbeitgeber haben oft schon genug damit zu tun, diejenigen Kollegen, die in Rente gehen, zu ersetzen. Sie wollen nicht zusätzlich noch ihre erfahrenen Kräfte oder Spezialisten verlieren, die sich unfair bezahlt fühlen. Insgesamt sollte also das Portemonnaie des Chefs lockerer sitzen als früher.

Allerdings gilt: Wer seinen Chef von einer Gehaltserhöhung überzeugen will, muss gut verhandeln. Einmal im Jahr sollten Arbeitnehmer grundsätzlich über ihr Gehalt sprechen, rät Coach Kimich. Gerade jetzt, wo in vielen Firmen Jahresgespräche anstehen, sei die Gelegenheit günstig. So gehen Sie am besten vor:

Marktwert prüfen

Vor dem Gespräch ist es sinnvoll, herauszufinden, wie hoch Sie in etwa pokern können. Dabei helfen Gehaltstabellen (siehe Grafik) oder „Gespräche mit Kollegen“, erklärt Coach Kimich. Die Frage nach einer Gehaltszulage hängt aber auch von der Unternehmens- und Branchenlage ab und einer realistischen Einschätzung der eigenen Leistung. Generell gilt: Im Mittelstand ist weniger zu holen als im Großkonzern.

Konkret statt abstrakt

„Ich bin fleißig, pünktlich und flexibel“ – mit solchen Sätzen bekommen Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einen Euro mehr. Schließlich geht der Chef davon aus, dass diese Attribute auf alle seine Mitarbeiter zutreffen. Das A und O einer Gehaltsverhandlung ist es, die richtigen Argumente zum richtigen Zeitpunkt zu bringen.

„In Gehaltsgesprächen geht es immer darum, Leistung in einen Geldbetrag zu übersetzen“, erklärt Kimich. „Das Wichtigste ist, dass Sie im Gespräch den konkreten Nutzen Ihrer Leistung für das Unternehmen herausstellen.“

Drei Fragen sollte jeder in Gehaltsverhandlungen beantworten können (die Antworten gerne notieren!): Was genau umfasst mein Projekt? Was daran ist mein eigener Anteil? Was ist der Nutzen für das Unternehmen?

Gute Beispielsätze sind: „Durch meinen Einsatz konnten wir fünf wichtige Neukunden gewinnen“ oder „Seit ich die Abteilung leite, hat sich Ihr Umsatz um 20 Prozent gesteigert“. Helfen kann es, sich das stärkste Argument bis zum Ende des Gesprächs aufzuheben, für den Fall, dass das Gespräch stockt oder Ihr Chef mauert – etwa ein Hinweis auf ein weiteres wichtiges Projekt, das Sie im nächsten Jahr abschließen.

Gegenargumente kontern

Auf Gegenargumente sollte jeder vorbereitet sein. Ein Chef-Klassiker lautet: „Das sprengt unser Gehaltsgefüge.“ Elegant verhindern Sie das, indem Sie diesen Einwand selbst leicht umformuliert bringen: „Mit meinem Gehaltswunsch liege ich im Rahmen dessen, was bei uns üblich ist, so dass auch keine Unruhe ins Team kommt.“ Vertröstet Sie Ihr Vorgesetzter etwa mit: „Ich will gern nachhören, was die Personalabteilung dazu sagt“, machen Sie mit ihm gleich einen neuen Termin zum Thema aus.

Ist Ihr Chef nicht bereit, sofort auf eine Gehaltsforderung einzugehen, können Sie mit ihm zum Beispiel Ziele vereinbaren, bei deren Erreichen die Gehaltsverhandlungen wieder aufgenommen werden. Versuchen Sie dann, konkrete Zeitpunkte und Summen festzulegen, „beispielsweise in drei Monaten, wenn das laufende Projekt erfolgreich abgeschlossen ist, wird eine Gehaltssteigerung von x Prozent vereinbart“.

Lassen Sie die konkrete Vereinbarung unbedingt schriftlich festhalten und von beiden Seiten unterschreiben. Will Ihr Chef partout kein Geld lockermachen, fragen Sie, ob er bereit ist, seine Wertschätzung durch andere Vergütungsbestandteile auszudrücken.

Standhaft bleiben

Wenn das Gegenüber gar nicht anspringt und versucht, einen weit unter die eigene Schmerzgrenze zu drücken, kann es im Zweifel helfen einfach aufzustehen und zu gehen – notfalls sogar zu einer anderen Firma. So hat es ein Vertriebsingenieur gemacht, der seiner Firma fast drei Millionen Euro Umsatz im Jahr gebracht hat.

„Als der Chef ihm dann dafür nicht die verlangten 20.000 Euro mehr im Jahr zahlen wollte, ist er zur Konkurrenz gewechselt, verdient inzwischen das Doppelte und hat den Millionen-Auftrag mitgenommen“, erzählt Coach Kimich. Das funktioniert freilich nur für all jene, die wechselbereit sind und im Zweifel schon ein Angebot vorliegen haben. Generell gilt die Daumenregel: „Wer dreimal ein Nein kassiert, braucht ein viertes Mal erst gar nicht mehr zu fragen.“ Nur bitte nicht 22 Jahre lang warten.