Nach mehr als zwei Jahren Pandemie ist für viele Angestellte in den vergangenen Wochen wieder ein einschneidender Umstieg erfolgt: die Übersiedlung aus dem Homeoffice zurück ins Büro. Der Mensch, so heißt es oft, ist ein Gewohnheitstier. Der Weg vom Einzelarbeitsplatz zu Hause ins Büro mit Kolleginnen und Kollegen ist damit fast so etwas wie eine Wieder-Sozialisierung. Auf dem Prüfstand stehen aber auch die alten und neuen Formen des Miteinander im Büro.
Für viele war der Gang ins Homeoffice vor mehr als zwei Jahren ein schwieriger: Einen gut ausgerüsteten Arbeitsplatz hatte kaum jemand, Computerarbeit am Küchentisch mit Küchensessel sorgte oft für Rückenschmerzen, auch bei der technischen Ausrüstung gab es Aufholbedarf. Und die Trennung von Arbeitszeit und Privatleben erwies sich häufig als Hürde – ganz abgesehen davon, dass in der ersten Zeit auch Homeschooling auf dem Programm stand. Diese Doppel- und Dreifachbelastung blieb vor allem an den Frauen hängen.
Nun, zwei Jahre später, sieht das Bild ein wenig anders aus. Viele haben sich zu Hause einen Arbeitsplatz eingerichtet, Alltagsroutinen entwickelt und die Vorzüge des alleine Arbeitens entdeckt. Der Weg ins Büro fällt weg, vor allem bei langen Anreisezeiten ist das ein enormer Zeitgewinn. Die neue Freiheit bedeutet aber auch, bei Fragen wie Raumtemperatur und Lautstärke keine Kompromisse eingehen zu müssen.
Alte Streitthemen und neue Gesprächskultur
Doch genau diese Fragen tauchen nun in den Büros wieder auf – mit dem Umstand, dass viele es nicht mehr gewöhnt sind, sich mit anderen arrangieren zu müssen. Debatten über Heizung, Lüftung, Lautstärke stehen also wieder an. Und was ist mit möglichen Macken, die man im Homeoffice kultiviert hat und jetzt ins Büro mitbringt: Der eine murmelt mit sich selbst beim Arbeiten, die andere trommelt ab und zu auf den Tisch. Auch die Frage des passenden Dresscodes poppt nach zwei Jahren legeren Homeoffice-Outfits da und dort wieder auf.
Und: Soll man ansprechen, dass dem Kollegen eine Dusche guttäte, nachdem er mit in der Pandemie wiederentdeckter Sportlichkeit den Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad zurücklegt? Oder dass die Kollegin auch mit einer geringeren Dosis ihres Lieblingsparfums genug Duftmarken zurücklässt? Es braucht also einerseits manchmal eine Art Wieder-Sozialisierung, ein Einsehen und Handeln, dass man aufeinander Rücksicht nimmt, wenn man einen Gutteil des Tages auf engem Raum miteinander verbringen muss. Und es braucht auch eine Gesprächskultur, in der solche Störungen ansprechbar und ohne gröbere Konflikte lösbar sind.
Einfaches Regelwerk gefragt
Spätestens hier sind wohl auch die Chefs gefragt. Führungskräfte sollten eine gute Zusammenarbeit mit der Formulierung weniger Kernregeln sicherstellen, schreibt Wolfgang Güttel, Professor am Institute of Management Science an der Technischen Universität Wien, zuletzt in einem Gastbeitrag für den „Standard“. Gemeinsam sollte aber auch erarbeitet werden, welche Stärken und Schwächen Präsentarbeit und Homeoffice jeweils haben – und auf Basis dessen könne eine Art Change-Prozess eingeleitet werden.
Ein Knackpunkt dabei sind häufig Besprechungen und Sitzungen, die während der Pandemie zumeist per Videokonferenz abgehalten wurden. Neben den üblichen technischen Fragen („Könnt ihr mich hören?“) sorgten sie auch angesichts der Mühseligkeiten in der inhaltlichen Kommunikation für viel Unmut. „This Could Have Been an E-Mail“ wurde zur geflügelten Phrase für zeitfressende Videokonferenzen, die auch einfach durch schriftliche Kommunikation zu ersetzen gewesen wären.
Sitzungen mit Frustrationspotenzial
Und dieses Frustrationspotenzial ließe sich nun für produktivere, heißt: kürzere, Sitzungen nutzen. Dabei sind es meist ähnliche Dinge, die Besprechungen lähmen: endlose Wortmeldungen, die vor allem der (zumeist männlichen) Selbstdarstellung dienen, das Erörtern von Detailfragen, die nur einen Bruchteil der Anwesenden interessieren, Abgleiten in private Anekdoten und überlange Präsentationen. Solche Verhaltensmuster abzustellen, ist mitunter mühsam und auch heikel.
Cary Cooper, Professor für Organisationspsychologie und -gesundheit an der Alliance Manchester Business School, hat im „Guardian“ einen einfachen Trick: Sitzungen in der Früh begünstigen solche Auswüchse. Setzt man sie um 11.30 Uhr an, also tendenziell kurz vor dem Mittagessen, gibt es von den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein gesteigertes Interesse, sie kurzzuhalten.
„Hybrid“ als neues Zauberwort
Bei Sitzungen, aber auch insgesamt gilt „hybrid“, also die Mischform aus Anwesenheit im Büro und Homeoffice, als neues Zauberwort. Denn die Uhren auf Präpandemiezeiten zurückzustellen, das kommt nicht mehr infrage: Laut einer Umfrage des Portals karriere.at würde knapp die Hälfte der Befragten eine Stelle ablehnen, wenn dort keine Möglichkeit zur Arbeit von zu Hause aus angeboten wird. Das deckt sich weitgehend mit internationalen Umfragen, wie einer aus den USA, durchgeführt von Future Forum, einer Forschungsplattform des Kommunikationsdienstes Slack. Dort sprechen sich vor allem Frauen für hybride Arbeitsformen und Homeoffice-Möglichkeiten aus. Größter Anreiz für Arbeit im Büro ist demnach der Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen.
Zwischen Homeoffice und „sauberen Tischen“
In den vergangenen Monaten haben viele Unternehmen das alte Vorurteil über Bord geworfen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hause quasi „unüberwacht“ weniger produktiv wären. Auch zuletzt gestiegene Kosten, etwa für Energie, mögen ein Grund dafür sein, wieso Unternehmen dem Thema Homeoffice mittlerweile offener gegenüberstehen.
Angesichts von hybriden Arbeitsformen stellen mehr und mehr Firmen auf das Clean-Desk-Konzept um, was schlicht heißt, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin einen leeren Schreibtisch vorfinden und ihn auch so wieder verlassen sollen. Die Clean-Desk-Devise trifft vor allem jene hart, die es in ihrem bisherigen Berufsleben gewöhnt waren, ihren Arbeitsplatz mit Familienfotos, Grünpflanzen und Urlaubsmitbringseln heimelig auszustaffieren und die verbleibende Fläche mit Schreibutensilien, Aktenordnern und anderen Büromaterialien vollzupacken.
Mein Platz ist dein Platz
Clean Desk heißt aber auch, zumindest auf Deutsch, im Englischen spricht man von Hot Desk, dass es keine fix zugeordneten Arbeitsplätze mehr gibt – und jeder und jede theoretisch jeden Tag an einem anderen Platz sitzt. Angesichts von Homeoffice-Tagen scheint das logisch, weil die Zahl der Arbeitsplätze unter jener der Angestellten liegen kann. Unternehmen sparen sich also Fläche. In Städten wie New York ist das bereits spürbar, Büroflächen werden kleiner. In Österreich ist von Flächenreduktionen laut Marktbeobachtern noch nichts zu sehen.
Im Managementsprech werden solche wechselnden Arbeitsplätze auch gerne mit Argumenten angepriesen, dass wechselnde Sitznachbarn und „unterschiedliche“ Perspektiven fruchtbar für die Arbeit seien. Kontraproduktiv wird es aber spätestens dann, wenn unterschiedliche Firmeneinheiten, die eigentlich keine Berührungspunkte in der täglichen Arbeit haben, auf solchen konzentrierten Flächen nebeneinander sitzen. Laut der Umfrage von karriere.at stellen derartige geteilte Arbeitsplätze für rund die Hälfte der Befragten kein Hindernis für einen neuen Job dar.
Lockangebote für die Rückkehr ins Büro
Die Rückkehr in die großen Büros ist im englischsprachigen Raum ein so großes Thema, dass mit RTO („Return to Office“) sogar ein eigenes Schlagwort den Eingang in die Debatte fand. Als Brennglas für die Entwicklungen standen und stehen dabei oft große IT-Konzerne, die zum Teil weder Kosten noch Mühen scheuten, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Büros zurückzubringen.
Die Büros sehen in dieser Branche ohnehin oft eher nach überdimensionierten Abenteuerspielplätzen aus – die auch entsprechend angepriesen wurden. Microsoft etwa bot laut „New York Times“ in der Wiederbesiedelungswoche Spiele, Cocktails und Foodtrucks. Auch andere Unternehmen versuchten mit Partys, Konzerten und Fitnessangeboten, die Angestellten wieder an den Büroalltag zu gewöhnen.
Das Ende der „Kindergartenbüros“
Doch genau damit setzten sie laut Paul Lopushinsky, Chef der Beraterfirma Playficient, auf ein totes Pferd. Denn solche erzwungenen Bespaßungsaktivitäten seien spätestens seit der Pandemie obsolet, meint er gegenüber der BBC: Angesichts neuer Prioritäten hätten „Kindergartenbüros“ ausgedient.
Nach der Pandemie seien die Leute viel weniger bereit, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollen, weiß Adrian Gostick, Experte für Mitarbeiterengagement und Organisationskultur, gegenüber der BBC: „Ich glaube, die Pandemie hat uns insgesamt etwas wütender und zynischer gemacht, und die Leute lassen sich einfach nicht mehr so oft Dinge gefallen, die sie als lästig empfinden.“
Kommt die neue Nüchternheit?
Zwar waren solche Pflichtbespaßungen zur angeblichen Verbesserung des Arbeitsklimas in der österreichischen Bürokultur nie sehr groß verankert, Güttel meint im „Standard“ allerdings, dass eine „rein formale Arbeitsbeziehung“ sogar aufgrund eines Gewöhnungseffektes das neue „Normal“ sein könnte – auch weil neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „sozial wenig an die bestehenden Teams angebunden werden konnten“.
Bleibt noch die Variante von Tesla-Chef Elon Musk, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder ins Büro zu holen: „Jeder bei Tesla muss mindestens 40 Stunden in der Woche im Büro verbringen“, schrieb er in einer E-Mail an die Belegschaft: „Wenn jemand nicht erscheint, müssen wir davon ausgehen, dass diese Person das Unternehmen verlassen hat.“ Sympathiepunkte sammeln und einen positiven Beitrag zu einem guten Arbeitsklima leisten dürfte er damit eher nicht.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.