Zu lange Arbeitszeiten können zu Stress, Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Problemen führen. Schon mehrfach wurde belegt, dass Überarbeitung negative Folgen für die Gesundheit hat. Laut einem Pilotprojekt in Großbritannien vor zwei Jahren kann umgekehrt eine Viertagewoche das Risiko für körperliche und mentale Probleme deutlich senken, ohne dabei Produktivität im Unternehmen einzubüßen.
Dass sich sehr lange Arbeitszeiten anscheinend auch auf die Struktur des Gehirns auswirken können, war bisher nicht bekannt. In einer südkoreanischen Studie, veröffentlicht in „Occupational and Environmental Medicine“, fand ein Forschungsteam nun aber Hinweise darauf, als es Personen untersuchte, die regelmäßig mehr als 52 Stunden pro Woche arbeiteten.
Vergrößerte Hirnregionen
Es zeigte sich, dass einige Bereiche in den Gehirnen der vielarbeitenden Personen deutlich größer waren als bei jenen mit regulären Arbeitszeiten, zum Beispiel der mittlere Frontallappen. Dieser Teil des Gehirns ist unter anderem wichtig für die Konzentration sowie die Denkleistung und er hilft dabei, Sprache zu verarbeiten. Bei den vielarbeitenden Personen war der Bereich bis zu ein Fünftel größer als bei Personen mit Standardarbeitszeiten.
Die Forscherinnen und Forscher fanden darüber hinaus noch 16 andere Hirnregionen, die bei den vielarbeitenden Personen größer waren, darunter der obere Frontallappen und die Insula, die beide dabei helfen, Emotionen zu verarbeiten, und die in die Selbstwahrnehmung involviert sind.
Um zu diesen Erkenntnissen zu kommen, nutzte das Forschungsteam Daten aus einer großen Kohortenstudie und führte Magnetresonanztomografien (MRT) durch. Insgesamt wurden 110 Personen untersucht, von denen 32 regelmäßig sehr lange arbeiteten.
Vor- und Nachteile möglich
Die Ergebnisse der Studie werfen Fragen auf, welche langfristigen Auswirkungen die strukturellen Veränderungen haben könnten. Dass sich das Gehirn anpasst, sei aber durchaus plausibel und aus anderen Bereichen bekannt, erklärt der Wiener Arbeitsmediziner Wolfgang Lalouschek im Gespräch mit dem ORF: „Wir wissen schon, dass sich bestimmte Gehirnregionen zum Beispiel durch Training vergrößern können.“ Bekannt sei etwa, dass bei Geigerinnen und Geigern jene Gehirnareale wachsen, die für die Hand- und Fingerkoordination zuständig sind. Sehr lange Arbeitstage könnten das Gehirn auf eine ähnliche Weise trainieren.
Lalouschek war an der südkoreanischen Untersuchung nicht beteiligt. Er betont aber, dass eine Vergrößerung von Gehirnregionen nicht automatisch positiv zu bewerten ist. „Es kann natürlich sein, dass der größere Frontallappen die Denk- und Konzentrationsleistung erhöht. Es kann aber genauso gut sein, dass sich die Veränderungen in den Bereichen, die Emotionen regulieren, negativ auswirken.“ Menschen mit Angststörungen haben laut dem Arbeitsmediziner etwa oft eine vergrößerte Amygdala, was sie noch anfälliger für Stress und emotionale Probleme macht.
Weitere Untersuchungen nötig
Unklar sei bei den südkoreanischen Forschungsergebnissen außerdem, was die genauen Gründe für die strukturellen Veränderungen im Gehirn sind. Lalouschek hält es für denkbar, dass nicht die langen Arbeitszeiten, sondern vielleicht der daraus resultierende Schlafmangel bestimmte Bereiche des Gehirns beeinflusst.
Auch das südkoreanische Forschungsteam selbst warnt davor, die Ergebnisse der Untersuchung überzubewerten, weil es sich um eine erste Pilotstudie in dem Bereich handelt. Weitere Untersuchungen mit mehr Probandinnen und Probanden seien nötig, um die genauen Mechanismen und Auswirkungen zu verstehen.
Einstellung wichtiger als Arbeitszeit
Lalouschek geht außerdem davon aus, dass nicht die Anzahl der Stunden, sondern vor allem die Qualität der Arbeit und die persönliche Einstellung eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, wie sich der Arbeitsalltag auf das menschliche Gehirn auswirkt. Manche Personen kommen auch mit mehr als 52 Arbeitsstunden pro Woche gut zurecht, andere stoßen hingegen schon bei 30 Stunden an ihre Grenzen.
Stress sollte jedenfalls so gut es geht vermieden werden. Der Arbeitsmediziner rät etwa dazu, mit einem „inneren Ja“ zur Arbeit zu gehen, weil das die negativen Auswirkungen von Stress erheblich mindern kann. Menschen, die Freude an ihrer Arbeit haben und sich nicht überfordert fühlen, sind auch weniger anfällig für gesundheitliche Risiken wie Herz-Kreislauf-Probleme.
Bewegung und Gespräche können helfen
Lalouschek rät zudem zu Reflexionsphasen. Das könne helfen, das Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben zu stärken und den Stresspegel zu senken. Er empfiehlt, sich regelmäßig Zeit für sich selbst zu nehmen, sei es durch Spaziergänge, kurze Pausen bei der Arbeit oder durch Momente der Ruhe und Entspannung.
Abschließend betont Lalouschek die Bedeutung von Bewegung und sozialen Kontakten. Regelmäßige körperliche Aktivität hilft, Stresshormone abzubauen und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern. Gute soziale Beziehungen wirken als eine Art Puffer gegen Stress und fördern die psychische Gesundheit. In einer zunehmend hektischen Arbeitswelt sei es wichtiger denn je, auf diese grundlegenden Aspekte zu achten, um langfristig gesund und leistungsfähig zu bleiben.